Online Publishing (english version coming soon)
So erfreulich die sichere Archivierung von Nachlässen ist, so nachteilig erweisen sich institutionelle Grenzen und räumliche Beschränkungen für Forschung und Publikation. Im Fall des Briefwechsels von Erich und Luise Mendelsohn wird dieser Umstand deutlich. Die 1.410 Briefe Erich Mendelsohns an seine Frau Luise werden in Berlin verwahrt, die 1.328 Briefe Luises in Los Angeles. Das macht die wechselseitige Lektüre schwierig. Wichtige Bezugslinien des nahezu lebenslangen Dialogs sind kaum zu verfolgen, und auch die Forschung stößt an ihre Grenzen. Sinnzusammenhänge und Werkbezüge erfordern die Zusammenschau der Dokumente. Erst das Für und Wider einer dialogischen Kommentierung macht komplexe Werkprozesse greifbar.
Die virtuelle Verzahnung des Briefwechsels im Online-Medium einer digitalen Edition überwindet diesen Nachteil. Sie ermöglicht den zeit- und ortssouveränen Zugang zu den Briefen und damit auch das vergleichende Lesen. Vollständige Transkripte der handschriftlichen Blätter unterstützen das Textverständnis ebenso wie die Indexierung und Annotierung sämtlicher Texte. In der sorgfältigen Faksimilierung kommt darüber hinaus ein ästhetisches Moment zum Tragen. Die ebenso schlichten wie handschriftlich charakteristischen und oft fragilen Briefbögen tragen alle Spuren internationalen Transportwesens. Auch darin verdichtet sich Zeitgeschichte und Atmosphäre - manchmal bedrückend, wie bei den Feldpostkarten aus den Schützengräben des 1. Weltkriegs, aber auch befreiend, wie vielleicht bei fröhlichen Urlaubsgrüßen vom Monte Verità.
Die digitale Edition des Briefwechsels von Erich und Luise Mendelsohn ist die erste vollständige und systematische Veröffentlichung dieser ungewöhnlich dichten Folge korrespondierender Dokumente. Sie kann sich gleichwohl auf Vorarbeiten stützen. Durch Oskar Beyer wurde in Zusammenarbeit mit Louise Mendelsohn 1961 eine kleine Auswahl von Briefen publiziert. Bruno Zevi hat 1970 mit dem Buch "Opera Completa" ein Gesamtverzeichnis der Zeichnungen und fotografischen Dokumente der Bauten vorgelegt. Durch Stephan/Heinze-Greenberg, "Erich Mendelsohn – Gebaute Welten", ist 1998 erstmals nach Whittick, "Eric Mendelsohn", 1940, eine noch immer gültige Werkübersicht publiziert worden.
Anders als diese gedruckten Verzeichnisse zielt die digitale Edition EMA nicht nur auf die mediale Verfügbarmachung materieller Werke. Sie nutzt vielmehr die elektronischen Ressourcen im globalen Netz, um die Texte insgesamt anzureichern. Kritische Annotation, umfassende Indexierung und die Unterlegung vieler Begriffe und Werkbeschreibungen mit weiterführenden Links münden in eine breite wissenschaftliche und multimediale Kontextualisierung der Korrespondenz.
Linked Data Techniken des Semantic Web verbinden die digitale Edition mit dem kartierten Universum geographischer Informationssysteme (Geonames). Die Normdatenangebote der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) und der Library of Congress (LOC) werden zum Aufbau interoperabler Referenzen zu Personennamen, Werkbezeichnungen oder Ereignissen genutzt. Schließlich verleiht die Verlinkung mit Medienportalen wie SMB-digital oder der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) den in den Briefen angesprochenen Werken der Architektur, Kunst oder Musik eine hohe Anschaulichkeit.
Das offene Editionsprogramm Refine!Editor, auf dem die Arbeit basiert, ermöglicht eine grundsätzlich frei auswählbare Dereferenzierung jeder adressierbaren Ressource, so dass allein die rechtliche Verfügbarkeit die Grenze zieht.
Und natürlich folgt eine digitale Edition auch nicht dem linearen Konzept gedruckter Bücher, sondern lässt auch andere Zugänge und Erweiterungen zu. Der kontinuierliche Ausbau der digitalen Edition EMA über den Briefwechsel hinaus, entspricht unserem Verständnis von Nachhaltigkeit.
Die digitale Edition des Briefwechsels von Erich und Luise Mendelsohn 1910-1953 wurde von der Kunstbibliothek - Staatliche Museen zu Berlin und dem Getty Research Institute (GRI) als transatlantische Kooperation begonnen und konnte dank der Förderung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung im Zeitraum 2010-2014 abgeschlossen werden.
Empfohlene Zitierweise
Bienert, Andreas und Wim de Wit (eds.), EMA - Erich Mendelsohn Archiv. Der Briefwechsel von Erich und Luise Mendelsohn 1910-1953; mit Textbeiträgen von Regina Stephan und Moritz Wullen,
Version März 2014, Kunstbibliothek - Staatliche Museen zu Berlin & The Getty Research Institute,
Los Angeles, 2014. Online zitierbar unter http://ema.smb.museum
Die einzelnen Arbeitsschritte bis zur Online Edition
Scanning
Das Archivmaterial des Briefwechsels, insgesamt ca. 6.000 je doppelseitige Blätter, wurde in hoher Auflösungs- und Farbqualität digitalisiert. Gemäß der Digitalisierungsrichtlinie der DFG wurde dabei eine Auflösung von mindestens 300 ppi bezogen auf die Größe der Originalvorlage und eine Farbtiefe von mindestens 24 Bit zu Grunde gelegt. Für die Web-Publikation wurden diese Dateien auf eine Bildgröße von maximal 1.500 pixel in der Höhe verkleinert, in das Format JPEG konvertiert und mit einem Banner zum Copyright versehen.
Transkribieren
Die durchgängig handschriftlich, in deutscher, englischer und französischer Sprache verfassten Dokumente des Briefwechsels wurden diplomatisch transkribiert. Weit über fünfzig Prozent der Briefe Mendelsohns liegen ausschließlich in deutscher Kurrent-Schrift vor, einer Schrift die sich wie eine Barriere vor die internationale Rezeption schiebt. Erst auf den transkribierten Texten sind informationstechnische Angebote wie Volltextsuche oder automatisierte Indexierungen umsetzbar.
Die Transkription erfolgte online und arbeitsteilig über das Editionsprogramm Refine!Editor. Die Datenbankverwaltung und das Hosting über 3pc Neue Kommunikation.
Katalogisieren
Die Katalogisierung der Korrespondenz folgt den Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA) und umfasst Kerndaten zu Struktur, Maß, Material, Absendedatum und Adressaten der Dokumentationseinheiten. Die Metadaten sowie die URLs der gescannten Image-Dateien wurden im internationalen Verbund der Autographen und Nachlässe "Kalliope" (http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de) verzeichnet oder im Falle der Briefe des GRI über die MAB2 Schnittstelle eingepflegt. Alle Briefe sind in auch in Kalliope über ihre Metadaten recherchierbar.
Kommentieren
Der wissenschaftliche Ertrag wird neben der umfassenden Veröffentlichung des Briefwechsels erst durch eine sorgfältige Kommentierung und Annotierung nach dem Stand der aktuellen Forschung bestimmt. Erst in der wissenschaftlichen Bearbeitung der Briefe werden die entscheidenden Kontexte vergegenwärtigt, vor denen individuelle Bezugnahmen und Diskussionen zu verstehen sind. Das gilt für Bauten, Orte, Personen und Projekte ebenso wie für die literarischen, musikalischen oder politischen Bezüge. Der intimen Textsorte des Briefs entspricht, dass solche Bezüge oft nicht unmittelbar verständlich oder eindeutig gefasst sind. Texte und Illustrationen werden deshalb mit Schlagworten, Normdaten und Verweisungen angereichert, die das Verständnis erleichtern.
Online Publikation EMA
Die Publikation des Briefwechsels erfolgt im Rahmen einer offenen und erweiterbaren Online-Anwendung, die das Material auf vielfältige, und interaktive Weise erschließt. Als Erschließungsoptionen sind Werk-, Ereignis-, Körperschafts-, Personen- und Ortsindex sowie das Volltextretrieval zu nennen. Wo immer möglich, werden indexierte Zeichenfolgen mit weiteren Informationen sowie ggf. vorhanden Referenzen auf Normdaten hinterlegt. Für die wissenschaftliche Interpretation und den ästhetischen Genuss ist die Synchronansicht von Abbildung und Transkript von besonderer Bedeutung.
Die Möglichkeit des Downloads aller Text Dokumente im plattformneutralen TEI-XML Format garantiert die Anschlussfähigkeit an internationale Standards und langfristige Lesbarkeit.
Andreas Bienert
Staatliche Museen zu Berlin