EMA - Erich Mendelsohn Archiv
Der Briefwechsel von Erich und Luise Mendelsohn 1910-1953

Erich & Luise Mendelsohn

Erich Mendelsohn


Erich Mendelsohn wird am 21.März 1887 in Allenstein in Ostpreußen geboren. Er hat vier ältere Geschwister, Max, Paul, Henriette und Jetty, und einen jüngeren Bruder, Hans, der 1894 zur Welt kommt. Seine Eltern führen ein Geschäft für Reiseandenken und –bedarf am Hauptplatz der ostpreußischen Garnisonsstadt. Seine Mutter Emma Esther Mendelsohn, geborene Jaruslawksi, ist Modistin. Sie ist sehr musikalisch und vererbt ihren Kindern diese Begabung. Der Vater David Mendelsohn ist Kaufmann und ein engagierter Bürger seiner Stadt: Er ist Hauptmann und Führer der Freiwilligen Feuerwehr, Führer der Sanitätskolonne, im Vorstand des Kriegervereins und Leutnant der Reserve. Außerdem ist er in der kleinen jüdischen Gemeinde Allensteins aktiv.

Erich besucht das humanistische Allensteiner Gymnasium und beendet die Schulzeit 1907 mit dem Abitur. Sein Wunsch ist von Anfang an, Architektur zu studieren. Allerdings wird ihm davon abgeraten, da es als schwierig gilt, als Jude eine Stelle in der Bauverwaltung zu erhalten. Auf Wunsch seiner Eltern beginnt er daher eine Lehre beim Maschinenbauunternehmen Orenstein & Koppel in Berlin, die er nach kurzer Zeit abbricht, um an die Ludwig-Maximilians-Universität nach München zu wechseln. Dort studiert er zwei Semester Volkswirtschaftslehre. Zum Sommersemester 1908 gelingt es ihm endlich, seine Eltern zu überzeugen: Er wechselt nach Berlin an die Technische Hochschule Charlottenburg und beginnt das Studium der Architektur. Zum Sommersemester 1910 kehrt er nach München zurück und macht 1912 an der dortigen Technischen Hochschule sein Diplom als Architekt.

Schon während des Studiums beschäftigt er sich mit Musik und Kunst. Er gehört zum Kreis moderner Künstler in München, die die Erneuerung der Künste erstreben. Mendelsohn entwirft Bühnenbilder und Kostüme, stattet Faschingsbälle aus und beginnt zeitgleich, erste Bauten zu errichten. Seine Liebe gehört den Bergen, in die er oft fährt, um zu wandern.

Über seinen Freund Georg Cohn lernt er 1910 in Königsberg die sechzehnjährige Luise Maas kennen und beginnt mit ihr eine sich intensivierende Korrespondenz. Das Paar lebt über weite Zeiträume getrennt, da auch Luise studiert, und zwar Cello in London, Leipzig und Berlin.

1914 erlebt Mendelsohn den Kriegsbeginn in München. Seine Einschätzung, dass Deutschland nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren habe, wird sich in den folgenden viereinhalb Jahren bewahrheiten. Ende 1914 zieht er nach Berlin, um Luise näher zu sein. Er wird aufgrund seiner schlechten Augen zunächst zurückgestellt, dann zum Sanitäter ausgebildet und schließlich im Scheinwerfer-Ersatz-Bataillon eingesetzt.

1915 wird Luise 21 Jahre alt und somit volljährig. Im Oktober 1915 kann daher die Hochzeit stattfinden. 1916 wird die gemeinsame Tochter Marie Luise Esther geboren.

Der Soldat Mendelsohn hat insofern Glück, als er 1917 zunächst an der nordöstlichen russischen Front Kriegsdienst leisten muss, die aufgrund der Russischen Revolution relativ ruhig ist und ihm Zeit zum Zeichnen, Lesen und Fotografieren lässt. Im Frühjahr 1918 nimmt er an einem zehnwöchigen Offizierslehrgang in Libau teil und wird anschließend an die Westfront in die Nähe von Lille verlegt. Dort ist das Kriegsgeschehen völlig anders. Mendelsohn erkrankt an der Spanischen Grippe und verbringt die letzten Kriegsmonate in einem bayerischen Lazarett.

Anfang November 1918 kehrt er nach Berlin zurück. Sofort gründet er ein Büro und beginnt mit der Akquise. Seine Frau Luise hilft ihm. Aufgrund ihres bereits fünfjährigen Aufenthaltes in Berlin hat sie gute gesellschaftliche Kontakte. Eine ältere Bekannte Luises, Molly Philippson, lädt Industrielle, Verleger und Kaufleute zu einer Reihe von Vorträgen Mendelsohns in ihren Salon ein. Ziel ist es, seine architektonischen Ideen bekannt zu machen und Aufträge zu generieren. Diesem Zweck dient auch die Ausstellung Erich Mendelsohn. Architekturen in Eisen und Beton, die 1919 in der Berliner Kunstgalerie von Paul Cassirer und anschließend in Hannover, Hamburg, Breslau, Chemnitz, Stuttgart und Köln gezeigt wird.

Mit dem Astrophysiker Erwin Finlay Freundlich ist Mendelsohn über Luise bereits seit 1915 bekannt. Mit ihm diskutiert er brieflich aus dem Feld heraus über den Bau eines Observatoriums, das Finlay Freundlich errichten möchte, um die Richtigkeit von Albert Einsteins Relativitätstheorie mit Hilfe von Messungen des Sonnenlichts nachzuweisen. 1919, nach Beendigung des Ersten Weltkrieges, wird diese Überlegung konkret. Der Turm soll errichtet und mittels der so genannten Einstein-Spende finanziert werden. Zwischen 1920 und 1922 wird der Einsteinturm auf dem Telegraphenberg in Potsdam realisiert. Er katapultiert Mendelsohn an die Spitze der architektonischen Avantgarde und macht seinen Namen quasi über Nacht bekannt.

1921 muss Mendelsohns linkes Auge aufgrund einer Krebserkrankung entfernt werden. Dass dies zu keinen geschäftlichen Einbußen führt, liegt an dem Stab sehr guter Mitarbeiter, den er in seinem Büro beschäftigt. Trotz der sich beschleunigenden Inflation kann er in den ersten Jahren der Weimarer Republik mit seinem Büro große Aufträge realisieren, darunter den Um- und Erweiterungsbau des Verlagshauses Rudolf Mosse, Berlin, und die Hutfabrik Friedrich Steinberg, Herrmann & Co. in Luckenwalde.

Zahlreiche weitere Aufträge folgen. Sein Büro wird eines der erfolgreichsten in Deutschland. Bis 1932 baut er u.a. die Kaufhäuser Schocken in Nürnberg, Stuttgart und Chemnitz, die Kaufhäuser Petersdorff in Breslau und Cohen & Epstein in Duisburg, den WOGA-Komplex und das Kino Universum in Berlin, das Metallarbeiterhaus und das Columbushaus in Berlin sowie die Textilfabrik Krasnoje Snamja in Leningrad. Hinzu kommen Privathäuser in Berlin, darunter sein eigenes am Rupenhorn 6 in Berlin-Spandau. Um Vorträge zu halten oder Bauaufträge zu bearbeiten wird er zu Reisen ins In- und Ausland eingeladen: 1920 nach Holland, 1923 nach Palästina, 1924 in die USA, 1925 und 1926 in die Sowjetunion, 1930 nach England, 1931 nach Korsika und Griechenland, 1932 nach Norwegen, Paris und Côte d´Azur.

Mendelsohn ist Mitglied in zahlreichen Vereinigungen: Unmittelbar nach dem Kriegsende 1918 wird er Mitglied in der Novembergruppe und im Arbeitsrat für Kunst, danach im Bund Deutscher Architekten, im Deutschen Werkbund und im Zehnerring, der sich 1926 in Der Ring> umbenennt. 1931 erfolgt die Aufnahme in die Preußische Akademie der Künste, Berlin.

1933 entschließen sich die Mendelsohns aufgrund antisemitischer Hetze zur Emigration nach Holland. Dort wohnen sie eine Zeitlang bei dem befreundeten Architekten Hendrikus Theodorus Wijdeveld und seiner Frau Ellen. Mit Wijdeveld sowie dem französischen Maler Amédée Ozenfant plant Mendelsohn in dieser Zeit die Gründung einer Europäischen Mittelmeerakademie – Académie Européenne Méditérrannée, für die sie ein Grundstück in Cavalière an der Côte d´Azur erwerben. Die Finanzierung ist angesichts der schweren Weltwirtschaftskrise und der politischen Situation in Europa jedoch so schwierig, dass das Projekt trotz großer Bemühungen am Ende scheitert.

Noch im selben Jahr 1933 ziehen die Mendelsohns nach London, wo Erich eine Büropartnerschaft mit dem jüngeren Architekten Serge Chermayeff eingeht. Gemeinsam gewinnen sie den Wettbewerb für den De La Warr Pavilion in Bexhill-on-sea, der 1934-1935 realisiert wird.

Seit 1934 führt Erich parallel ein weiteres Büro in Jerusalem, um seine zahlreichen Aufträge im Britischen Mandatsgebiet Palästina bearbeiten zu können. Er mietet eine alte arabische Windmühle, die sowohl als Büro als auch als Wohnhaus für sich und seine Familie dient. In Jerusalem treffen sich alte Bekannte aus Deutschland wieder. Der Kaufhausbesitzer Salman Schocken, für den Mendelsohn in Deutschland drei große Kaufhäuser errichtet hat, beauftragt ihn mit dem Bau eines Privathauses und einer Bibliothek. Weitere große Projekte sind die Villa Weizmann in Rehovoth, das Universitätskrankenhaus Hadassah auf dem Mount Scopus in Jerusalem, die Anglo-Palestine-Bank in Jerusalem und das Regierungshospital in Haifa. Mendelsohn pendelt zwischen London und Jerusalem. Deutschland umfährt er konsequent.

1938 werden die Mendelsohns in Großbritannien eingebürgert. Sie werden zu einer Anlaufstelle für ihre in Deutschland bedrohten Familienmitglieder. Mendelsohn ermöglicht ihnen die Einreise nach England, da er für sie die Bürgschaft übernimmt. 1939 verlassen Erich und Luise Mendelsohn England und ziehen ganz nach Jerusalem. Ihre Tochter ist seit 1935 mit ihrem gleichfalls aus Deutschland stammenden Freund Hanne Davidson verheiratet und bleibt mit diesem in London.

Das sich nähernde deutsche Afrikakorps unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel veranlasst das Ehepaar Mendelsohn 1941, Palästina zu verlassen und in die USA überzusiedeln. Das Affidavit unterzeichnen Henry Morgenthau und Lewis Mumford. In den USA kann Mendelsohn 1941 auf die Unterstützung seiner Kollegen bauen. Ely Jacques Kahn überlässt ihm einen Büroraum in seinem New Yorker Architekturbüro, so dass Mendelsohn einen Platz zum Arbeiten hat. Andere Kollegen laden ihn zum Vortrag ein. Zusammen mit Luise geht er auf eine zweieinhalbmonatige Reise durch die Vereinigten Staaten und findet den Ort, an dem er leben möchte: San Francisco.

Zunächst kehren die Mendelsohns jedoch nach New York zurück, wo im November 1941 im Museum of Modern Art eine Ausstellung seines Werkes gezeigt wird. Diese tourt anschließend durch die USA. Praktisch tätig werden kann Mendelsohn allerdings zunächst nicht: Der Kriegseintritt der USA 1941 reduziert das Bauen auf kriegswichtige Aufgaben. Die Mendelsohns leben während der Kriegsjahre in Croton-on-Hudson. Die John Simon Guggenheim Foundation unterstützt ihn mit einem zweijährigen Stipendium. Mendelsohn arbeitet an dem Buch A Contemporary Philosophy of Architecture, das er jedoch nicht fertigstellt. 1943 berät Mendelsohn das amerikanische War Department, das den Luftkrieg gegen Deutschland vorbereitet.

1945 ziehen die Mendelsohns nach San Francisco. Er gründet ein neues Büro, das er kurzzeitig wieder in Partnerschaft mit lokalen Architekten führt: John Ekin Dinwiddie und Albert Henry Hill. Er entwickelt sich zu einem Architekten für Synagogen und Gemeindezentren. Große Synagogen kann er in Cleveland/Ohio, Saint Louis/Missouri, Grand Rapids/Michigan und Saint Paul/Minnesota realisieren. Er unternimmt zahlreiche Reisen in den Osten der USA, um weitere Projekte zu akquirieren. Hierzu zählen Synagogenprojekte in Washington/D.C., Miami/Florida, Baltimore/Maryland und Dallas/Texas. Diese kommen über das Planungsstadium allerdings nicht hinaus. Auch das Projekt für ein Memorial to the Six Million Jews of Europe für den New Yorker Riverside Park, bei dem er sich im Wettbewerb zunächst durchsetzt, scheitert letztendlich.

In San Francisco, der Wahlheimat, kann Mendelsohn zwischen 1948 und 1951 zwei Bauten realisieren, das Maimonides Hospital for the Chronic Sick und das Leon B. Russell-Haus. 1952/53 sind weitere Bauten in Arbeit, die erst nach seinem Tod vollendet werden, darunter das Laborgebäude für die Atomenergie-Kommission der University of California, Berkeley. An dieser Universität lehrt er seit 1947.

1951 heiratet seine Tochter Esther in zweiter Ehe den Chirurgen Peter Joseph aus San Francisco und bringt im März 1952 seine Enkelin Daria zur Welt. Im Laufe des Jahres 1952 wird klar, dass er erneut an Krebs erkrankt ist. Am 15. September 1953 stirbt er in San Francisco.